Automated driving (ADAS)  |  Research

Ergebnisse aus der weltweit ersten Fahrer-Akzeptanzstudie zu digitalen Spiegeln

Vorausschauen mit dem digitalen Rückspiegel

Kameras und Displays haben das Potential, herkömmliche Rückspiegel zu ersetzen. Doch was sagen Automobilhersteller und Endkunden dazu?

  • Laut einer Studie schätzen Autofahrer die Vorteile digitaler Spiegel, insbesondere das erweiterte Sichtfeld
  • Normen, Implementierung, Kosten, Funktionalität und Verbraucherakzeptanz erschweren einen schnellen Markteinstieg
  • Videodisplays, Spiegel und Hybridlösungen werden in absehbarer Zeit nebeneinander existieren

ILLERTISSEN, 18. Juni 2019 – Einige Automobilhersteller ersetzen bereits herkömmliche Rückspiegel durch Kameraüberwachungssysteme (CMS – Camera-Monitoring-Systems). Kameras und Videodisplays sollen das Sichtfeld des Fahrers nach hinten und/oder zur Seite verbessern und die Sicherheit erhöhen.

Im Vöhlinschloss in Illertissen wurden die Ergebnisse einer umfassenden Kundenakzeptanzstudie, die in Kooperation zwischen dem Adrive Living Lab der Hochschule Kempten, der MdynamiX und Gentrex Corporation erstellt wurde, präsentiert. Diese zeigen, dass der Übergang vom herkömmlichen zum digitalen Rückspiegel viele Herausforderungen mit sich bringt.

“Untersuchungen haben ergeben, dass 95% der Probanden das erweiterte Sichtfeld von Displayspiegeln schätzen und sich sehr schnell an die Sicht nach hinten durch ein Videodisplay gewöhnen. Dennoch gibt es einige Herausforderungen, die zu bewältigen sind, um die Kundenakzeptanz zu verbessern,“ so Prof. Bernhard Schick, Leiter des Forschungsbereiches Fahrdynamik und Fahrerassistenzsysteme sowie des Forschungslabors Adrive Living Lab. „In unserer jüngsten Studie äußerte sich fast die Hälfte der Teilnehmer skeptisch gegenüber Displays und gab zu bedenken, dass die Sicht nach hinten durch eventuelle kamerabedingte Systemgrenzen, wie z.B. Regen oder tiefstehende Sonne, stark eingeschränkt sein könnte.“

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Videoanzeigen in ihrer Funktion beschränkt sind. Experten zufolge, unterscheidet sich das Fahren mit Displays stark von der Verwendung herkömmlicher Rückspiegel. Beispielsweise geben Videodisplays ein zweidimensionales Bild wieder, was die Entfernung – insbesondere bei Rückwärtsmanövern – verzerrt. Die Augen des Fahrers, die sich auf ein Display konzentrieren sind deutlich mehr belastet und ermüden schneller als bei einem Blick in einen herkömmlichen Rückspiegel.

„Wir schätzen, dass zwischen 10 und 15 Prozent der Autofahrer digitale Spiegelsysteme ablehnen“, sagt Brad Bosma, Vice President für digitale Spiegelsysteme der Gentex Corporation. „Die allgemeine Herausforderung für die Automobilindustrie besteht darin, Kamera-Monitoring-Systeme im Fahrzeug zu verbauen und gleichzeitig die Endkunden dafür zu gewinnen.

Die Positionierung von Kameras und Displays im Fahrzeug ist ebenfalls eine große Herausforderung für die Automobilindustrie. Das Display sollte sich idealerweise im natürlichen Sichtfeld des Fahrers befinden und vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt sein, um z.B. eine Überbelichtung zu verhindern. Abhängig vom Fahrzeugdesign stehen die Seitenkameras recht weit vom Fahrzeug ab und müssen so konstruiert sein, dass sie bei einem Unfall einklappen. Diese technischen Herausforderungen erhöhen die Gesamtkosten des Systems und machen es schnell unerschwinglich.

„Steigt der Hersteller von herkömmlichen Spiegeln auf Kameras und Displays um, entstehen bereits erhebliche Kosten“, sagt Bosma. „Wenn Sie die zusätzlichen Entwicklungs- und Werkzeugkosten berücksichtigen, kann dies insbesondere bei Fahrzeugen im Niedrigpreissegment problematisch sein.“

Normen und gesetzliche Anforderungen an das Sichtfeld des Fahrers sind von Land zu Land unterschiedlich, was eine global kompatible Lösung für die Automobilhersteller nahezu unmöglich macht.

„Lösungen für ein Kamera-Monitoring-System erweitern das Sichtfeld nach hinten und eliminieren den toten Winkel, ein Plus für alle Verkehrsteilnehmer, egal ob Fahrer, Fußgänger oder Radfahrer“, sagt Prof. Schick. „Autofahrer wissen, dass digitale Innovationen wichtig sind und die große Mehrheit würde auch digitale Sichtsysteme nutzen.“

In absehbarer Zeit wird es Hybridsysteme geben, bei denen Spiegel und Videoanzeigen nebeneinander verwendbar sind. D.h., der herkömmliche Rückspiegel wird durch zusätzliche Kameras und Anzeigen ergänzt.

Gentex hat solch einen Full Display Mirror (FDM) auf den Markt gebracht, das intelligente System besteht aus einer nach hinten gerichteten Kamera und einen im Innenspiegel integrierten Display um die Sicht nach hinten zu verbessern. Der Spiegel bietet zwei verschiedene Funktionen. Im Spiegelmodus funktioniert er als normaler abblendbarer Rückspiegel. Durch Umschalten versetzt man den Spiegel in den Display-Modus und ein klares, helles, LC-Display wird auf der reflektierenden Oberfläche des Spiegels angezeigt. Videobilder, die von Kameras in den Außenspiegeln gestreamt werden, können ebenfalls im Displayspiegel eingebettet wiedergegeben werden.

„Eine Hybridlösung kombiniert die Vorteile von Spiegeln und Displays, sodass der Fahrer je nach Fahrverhältnissen selbst entscheiden kann, wann er welches System einsetzt“, so Bosma. „Hybridlösungen helfen den Autofahrern auch, sich schneller und besser an die Verwendung von Kamera-Lösungen zu gewöhnen.“